Kolumne: Immersion: Weniger ist mehr

Written By Kom Limpulnam on Senin, 05 Januari 2015 | 23.13

Immersion: Weniger ist mehr


"Wie entsteht eigentlich Immersion?"

Diese Frage habe ich mir gestellt, als mich Alien: Isolation tiefer als andere Spiele in einer virtuellen Welt versinken ließ. Denn genau das ist Immersion: die Illusion sich in einer anderen Welt zu befinden.

Moderne Spiele messen dieser Illusion einen hohen Wert bei. Ihre Entwickler betonen, wie wichtig ihnen das Erschaffen eines so vereinnahmenden Erlebnisses ist. Deshalb legen sie großen Wert auf Erzählung, Grafik, Ton und wie in Alien: Isolation auch auf die Steuerung.

Und vergessen dabei, dass Verzicht wichtiger sein kann als ein Hinzufügen.

In den vergangenen Monaten wurde das immer deutlicher: in den neuen Ausgaben von Assassin's Creed, Dragon Age und Far Cry, aber auch in Mittelerde: Mordors Schatten, Tomb Raider und anderswo.

Um spielerische Eigenheiten soll es hier nicht gehen – doch diese Abenteuer teilen eine große Schwäche: Sie sind wie die Typen auf dem Nachbarsitz im Kino. Typen, die den Film schon kennen und das auch jeden wissen lassen: "Pass auf, das ist gleich total witzig!" oder "'Ich sehe tote Menschen.' Wenn der wüsste, hahaha!"

Sie lassen dem Spieler keine Ruhe, ihn nie alleine.

Dabei gleicht das überraschende Entdecken neuer Aktivitäten, das eigenständige Erkennen der Geheimnisse einer virtuellen Welt jenem Kinobesuch, bei dem man zum ersten Mal The The Sixth Sense oder Inception gesehen hat. Oder die Rote Hochzeit auf der heimatlichen Couch. Hätte jemand deren Pointen verraten, sie wären wohl nicht als große Momente hängen geblieben.

So wäre es, wenn der aufdringliche Nachbar durchgehend quasselt – genau so fühlt es sich an, wo man im Spiel auf Aktivitäten und Geheimnisse und Erklärungen gestoßen wird. "Schau mal, da hinten ist eine 'versteckte' Inschrift", zeigt die Weltkarte von Mittelerde: Mordors Schatten. "Drei Straßen weiter braucht jemand deine Hilfe", weiß Assassin's Creed. "Die uralte Höhle hab ich dir schon mal markiert", entzaubert Tomb Raider.

In Dragon Age: Inquisition bedeutet die Suche nach Hinweisen das Ablaufen grafischer und akustischer Signale. Es fehlt das Umsehen in der Umgebung, das Erkennen des gesuchten Gegenstandes. Stattdessen erscheint die Aufforderung einen Knopf zu drücken - schon taucht das Objekt im Menü auf.

Spurensuche? Orientierungssinn? Überflüssig. In einem als abenteuerliche Reise gedachten Erlebnis!

Moderne Spieler erleben überhaupt kein Abenteuer. Sie spielen ein Menü. Der Blick auf die Kulisse wird hinfällig. Wozu genau hinschauen, wenn selbst Gegner durch Mauern und Berge sichtbar sind? Die Kulisse wird entzaubert, bevor man den ersten Schritt drin tut.

Blanker Hohn, wenn Spielemacher im Zusammenhang mit Immersion von Entdeckungsreizen sprechen!

Dabei ist es so wichtig, dass Augen und Ohren bei der Sache sind. Dass sie sich in der tatsächlichen virtuellen Welt umtun.

Versteckte Malerei muss man in Höhlen finden, deren Eingang das geübte Auge durch darüber wucherndes Gewächs entdeckt. Feinde muss man hören können. Briefe, Artefakte, Rohstoffe müssen als solche in der Umgebung liegen.

Menschen muss man aus Gefahr befreien, wenn man ihnen über den Weg läuft – nicht, weil eine Markierung die Gefahr am anderen Ende einer Stadt kartografiert. Orientierungssinn und logische Notwendigkeit müssen den Weg vorgeben.

Wurde irgendwo ein Schatz vergraben, muss es eine Karte geben. Und einen kauzigen Rauschebart, der vom "Tal der sieben Flüsse" murmelt. Oder einem anderen geheimnisvollen Ort.

Wenn man in Metal Gear Solid 5: Ground Zeros ein Tonband vor und zurück spult, um zu hören, durch welchen Gang sein früherer Besitzer getragen wurde - das ist Immersion! Far Cry hätte einfach einen Pfeil gesetzt und "hier drüben!" geschrien.

Interessante Kleinigkeiten müssen sichtbar, greifbar sein. Und ganz wichtig: Man muss sie übersehen können! Damit das Gefühl für eine Welt entsteht, die auch ohne den Spieler existiert. Virtuelle Schauplätze müssen sich natürlich erschießen. Sie müssen als funktionierendes Universum existieren, ohne dass der Kino-Kumpel nach einer Turmbesteigung eine Folie mit plötzlich interaktiven Symbolen über die Landkarte legt.

Denn nur eine funktionierende Wirklichkeit erweckt die Illusion, man könne in ihr versinken.

Niemand versinkt in einer Folie.

Gute Spiele brauchen Zeit. Man wächst in sie hinein. Man schlägt Wurzeln, indem Augen, Hände, Kopf und Ohren ihre Fühler ausstrecken und fündig werden.

Selbstverständlich darf ihnen der Kino-Kumpel dabei unter die Arme greifen! Natürlich können Menüs wichtig sein. Landkarten helfen ungemein und Hinweise zur Steuerung erleichtern einen Wiedereinstieg. Hilfen können das Abenteuer bereichern – so lange sie sich nicht aufdrängen. So lange der Spieler das Tempo vorgibt, mit dem er sein Abenteuer für sich entdeckt.

So lange Spielemacher dem Typen auf dem Nebensitz rechtzeitig den Finger auf die Lippen legen und zu verstehen geben: "Halt die Klappe!"

Es muss nicht Shadow of the Colossus sein – Paradebeispiel einer aufs Wesentliche reduzierten und dennoch erzählstarken offenen Welt.

Zurückhaltung beim Aufstellen künstlicher Wegweiser würde allerdings viel dazu beitragen, dass moderne Spiele ihrem viel beschworenen Ziel, der vereinnahmenden Immersion, deutlich näher kommen.

Benjamin Schmädig
Redakteur


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